



Chiara Attendolo - Die Löwin aus der Romagna
Im Laufe der Geschichte hatten Frauen nie die Möglichkeit, sich voll und ganz dem zu widmen, was sie liebten, weil sie immer auf die Rolle beschränkt waren, die die Männer für sie ausgewählt hatten. Die Frauen, über die ich in diesem Buch schreibe, gehören allerdings zu einer der privilegierten Gruppe, die den Vorteil hatten, Zugang zu Bibliotheken und Bildung sowie Unterricht in den Künsten, einschließlich der Kriegskunst, der Jagd und des Reitens, was der Mehrheit der Frauen jener Zeit absolut verschlossen blieb. Diese Löwinnen der Romagna waren in erster Linie Frauen, die als solche die Rolle von Ehefrauen, Müttern und Geliebten übernahmen, wussten aber ihre Krallen und Schnäbeln einzusetzen und kämpften darum, in dieser von Männern für Männer geschaffenen Welt, berücksichtigt zu werden.
Im Zeitalter der Renaissance war Italien Vorreiter bei der Gleichberechtigung der Geschlechter. Hier wurden die Erinnerung an das klassische Altertum niemals völlig vergessen und man brauchte sie daher nicht neu einzuführen, sondern nur aufzufrischen und zu verallgemeinern. Letzteres begann im 14. Jahrhundert. In den Fürstentümern und freien Städten wurden die Töchter gleich den Söhnen in der Kenntnis des antiken Lebens und der alten Sprache Roms unterrichtet. Es war für sie selbstverständlich auch in Latein sprechen und schreiben zu können.
Die Frauen der Machthaber und der Heerführer ( Condottieri) teilten nicht nur mit ihren Männern Ansehen und Ruhm, sie beteiligten sich auch in der Realität an kriegerischen Taten und wurden in Heldengedichten, gleich amazonenhaften Damen, hervorgehoben sowie geehrt.
Jakob Burckhardt
